Der Vorwurf der Nötigung erscheint im Straßenverkehrsrecht häufig in folgenden Fallgestaltungen:
Verkehrsrechtliche Besonderheiten
Seit der Sitzblockaden-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der tatbestandliche vorausgesetzte Gewaltbegriff genauer zu beleuchten.Während vor dieser Entscheidung eine psychisch vermittelte Gewalt für die Strafbarkeit ausreichen sollte, bedarf es seit der Entscheidung des Verfassungsgerichtes aus dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit einer Strafnorm nach Art. 1 03 GG einer unmittelbar einwirkenden körperlichen Zwangslage. Der Täter muss körperliche Kraft entfalten. Es genügt nicht, wenn er durch seine bloße körperliche Anwesenheit psychischen Einfluss ausübt.
ln seiner jüngsten Entscheidung zu diesem Problemkreis bestätigt das Bundesverfassungsgericht jedenfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht die Verurteilung eines Autofahrers, der versucht hat, innerorts einen Vorausfahrenden auf einer Strecke von knapp 300 m bei ca. 40-50 km/h bei dichtem Auffahren mit Licht- und Signalhupe zu schnellerem Fahren oder zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen. Damit wird eine bedrängende Fahrweise als Anwendung von Gewalt bestätigt, weil die beiden Voraussetzungen, nämlich
- die körperliche Kraftentfaltung des Täters und
- die dadurch bedingte physische Zwangswirkung beim Opfer je nach Gestaltung des Einzelfalles vorliegen können.
Sonach gilt für die oben dargestellten Fallgruppen Folgendes:
Drängeln:
Die Rechtsprechung nimmt nach der Sitzblockadenentscheidung an, dass durch Drängeln der erforderliche körperliche Gewaltbegriff dann erfüllt ist, wenn die vom Drängler ausgelöste Zwangseinwirkung auf den Vordermann körperliche Auswirkungen hat. Dabei geht man davon aus, dass Gewalt auch durch die Schaffung einer Gefahrenlage ausgeübt werden kann, die geeignet ist, den anderen Verkehrsteilnehmer zu körperlichen Reaktionen, wie z.B. durch Furcht und Schrecken ausgelöste Schweißausbrüche, Pulsrasen usw., zu veranlassen.
Die Abgrenzung hängt dabei von der Intensität ab, also von
- der Dauer der Einwirkung,
- der Art der Einwirkung (konkreter Abstand),
- zusätzlichen Maßnahmen wie Licht- oder Schallzeichen,
- der Möglichkeit für den Vordermann, den Fahrstreifen zu wechseln,
- der Geschwindigkeit
- der Streckenlänge
- der Auswirkung auf die Befindlichkeit des Vordermannes.
ln den Fällen intensiven Drängelns geht die Rechtsprechung von einer das Maß der bloßen Belästigung übersteigenden körperlichen Gewalteinwirkung aus, die darin besteht, dass die spezifische Gefährlichkeit des in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeuges Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel und deshalb eine Beeinflussung des fremden Willens darstellt.
Deshalb setzt die Tatvollendung voraus, dass sich der Vordermann zu der entsprechenden Handlung (z.B. Fahrstreifenwechsel) zwingen lässt. Andernfalls kommt allenfalls ein Versuch in Betracht. Weiterhin muss die Zweckrichtung des Handelns des Täters in einer entsprechenden Erzwingung liegen. Bloße Unaufmerksamkeit oder die Betätigung der Lichthupe zum Zwecke der Warnung wegen eines unvorsichtigen Fahrstreifenwechsels reichen nicht aus.
Zudem wird eine nur kurzzeitige Abstandsunterschreitung, je nach Geschwindigkeit und Abstand, (weniger als 300 m nicht ausreichend) nicht zu einer Verurteilung wegen Nötigung führen können.
Ausbremsen:
Es besteht weitgehende Einigkeit, dass das aktive Ausbremsen des Hintermannes dann den Gewaltbegriff erfüllt, wenn damit eine Drohung mit einem Auffahrunfall, also einer unmittelbaren physischen Einwirkung verbunden ist. Das abgebremste Fahrzeug stellt sich in diesen Fällen als körperliches Hindernis für den Nachfolgenden dar, dessen Entschlussfreiheit durch dieses Hindernis eingeschränkt wird. Dies liegt unproblematisch dann vor, wenn der Nachfolgende zu einer Vollbremsung. veranlasst wird oder wenn der Hintermann zum Anhalten gezwungen wird. Es genügt jedoch bereits das massive, auch allmähliche Reduzieren der Geschwindigkeit, wenn das Fahrzeug des Vordermannes nicht durch Ausweichen oder Überholen umfahren werden kann oder darf166. Das gleiche gilt, wenn das Abbremsen abrupt erfolgt und der Nachfahrende deshalb nicht mehr ausweichen kann und sich das Fahrverhalten des Vordermannes somit aufzwingen lassen muss.
Die Schwelle zur Nötigung ist also überschritten wenn:
- der Hintermann zu einem massiven Bremsmanöver (=weniger als Vollbremsung, normaler Bremsvorgang bei 2,5m-3,5m/Sek2)
- ohne verkehrsbedingten Grund
- und dadurch zu einer unangemessen niedrigen Geschwindigkeit gezwungen wird
- ohne Ausweich- oder
- Überholmöglichkeit des Ausgebremsten.
Das häufig beklagte „Schneiden“ des Überholten beim Wiedereinscheren nach dem Überholvorgang erfüllt den Tatbestand regelmäßig nicht. Zum einen ist schon fraglich, ob angesichts der Geschwindigkeitsdifferenz, die der rücksichtslose Überholer zum Überholten aufweist, bei dem technisch notwendigen räumlichen Vorsprung von mindestens einer Fahrzeuglänge für berührungsfreies Wiedereinscheren, überhaupt ein Abbremsen des Überholten nötig ist. Es wird meist nur der Schreck über das rücksichtslose Fahrmanöver sein, der die Bremsreaktion auslöst und nicht die durch physische Gewalt aufgezwungene Gefahrenabwehr. Zum anderen aber wird es beim Überholer meist an der erforderlichen gewollten Einwirkung auf das Fahrverhalten des Überholten fehlen. Wenn dieser behindert oder gefährdet wird, dann ist das in der Vorstellung des Täters die Folge, nicht aber das Ziel seines Handelns.
Die Nötigung setzt eine direkte Nötigungsabsicht voraus. Das bedeutet, dem Täter kommt es gerade darauf an, dass der andere Verkehrsteilnehmer seine Fahrt nicht ungehindert fortsetzen kann.
Zufahren auf Fußgänger:
Gewaltanwendung liegt jedenfalls vor, wenn
- eine Verletzung des Fußgängers bewirkt worden ist oder
- die erhebliche Gefahr einer Verletzung hervorgerufen wurde.
Letzteres reicht aus, wobei (wie im Fall des Drängelns) die konkreten Umständedes Einzelfalles, wie Geschwindigkeit, Abstand und Ausweichmöglichkeitzu untersuchen sind.
An der Verwerflichkeit der Tathandlung fehlt es ausnahmsweise nur dann, wenn der Autofahrer äußerst langsam, mit der jederzeitigen Möglichkeit anzuhalten,auf einen Fußgänger zufährt, der (rechtswidrig) einen freien Parkplatzblockieren will. Solange nicht nach außen hin der Eindruck entsteht, der Kraftfahrer werde den Fußgänger möglicherweise auch überrollen und dieser nur Zentimeter für Zentimeter von der Stoßstange weggeschoben wird, soll es an der erforderlichen Verwerflichkeit fehlen.
Blockieren der Zu-/Weg- und Weiterfahrt:
ln dieser Fallgruppe ist zunächst zu unterscheiden, ob die Tat als Fußgänger oder als Kraftfahrer begangen wird. Mit der Sitzblockadenentscheidung muss grundsätzlich das nur behindernde oder störende Sich-in-den-Weg-stellen oder ln-den-Weg-laufen, als lediglich psychische Zwangsentfaltung angesehen werden, die dem körperlichen Gewaltbegriff nicht genügt. In jüngeren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof deshalb Fußgänger, die mit ausgebreiteten Armen auf der Fahrbahn standen, um Pkws zum Anhalten zu zwingen oder störend im dichten Verkehr auf der Straße herumliefen, vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen.
Die Annahme einer tatbestandsmäßigen Gewalt setzt nämlich voraus, dass über die bloße körperliche Anwesenheit hinaus, eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf den Genötigten stattfindet, die sich über einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum hinweg erstreckt (30 Sekunden reichen z.B. nicht)
Bei der Vereitelung des weiteren Weg- oder Ausfahrens durch ein Kraftfahrzeug ist zu prüfen, ob
- Nötigungswille nachweisbar ist, also die Handlung auf die Willens Beeinflussung des anderen abzielte oder nur versehentlich geschah (bloße Unaufmerksamkeit reicht für Nötigungsvorsatz nicht aus),
- eine Möglichkeit bestand, dem Nötigungseinfluss durch Umgehung, Umfahren zu entgehen und
- die Intensität ausreichte, um wenigstens von der Drohung mit einem konkreten Übel auszugehen.
In diesen Fällen ist die Kasuistik unüberschaubar, einige Einzelfälle, die nicht zur Verurteilung führten, seien genannt:
- 400 m langes nebeneinander Herfahren, um Überholvorgang zu verhindern, reicht nicht aus
- Wer die Überholspur bei dichtem Verkehr mit 120 km/h deshalb blockiert, weil er befürchtet, ansonsten nicht mehr auf die Überholspur einscheren zu können, begeht keine Nötigung
- Nur kurzzeitige Beeinträchtigungen, die das Maß der Störung oder Belästigung nicht überschreiten, reichen regelmäßig nicht aus.
- Wer 6 Minuten bei Verkehrsstau wegen Engstelle auf der Autobahn die wegfallende Spur blockiert, soll noch keine Gewalteinwirkung ausüben, weil der Zeitraum unerheblich sei (das OLG Dresden176 verlangt neben der Gewaltanwendung – im entschiedenen Fall durch Anhalten eines Lkw auf dem linken Fahrstreifen der BAB vor einer Baustellenverengung – noch eine Zwangswirkung, die nur bei einer relevanten zeitlichen Dauer vorliege – im entschiedenen Fall bei 6 Minuten verneint!
Es bleibt anzumerken, dass die Verwerflichkeit der Nötigungshandlung nicht etwa deshalb entfällt, weil der Täter sich provoziert gefühlt hat oder aberden anderen Verkehrsteilnehmer mit seinem Verhalten disziplinieren oder schulmeistern will.